Vortrag von Gründungsobmann Artur Rossbacher anlässlich des Symposions "Mehrsprachigkeit und Identität" der Viktor Frankl Hochschule vom 8. bis 10. September 2021
Eingangs sehe ich mich veranlasst, einige Klarstellungen zu treffen: Ich bin Jurist, somit weder Linguist noch Pädagoge, habe keine sprachwissenschaftlichen Studien absolviert, auch keine linguistischen Forschungen durchgeführt. Meine Überlegungen und Thesen sind das Produkt langjähriger Beobachtungen im Rahmen grenzüberschreitender Aktivitäten des Club tre popoli, ergänzt durch einschlägige Literatur, Vorträge und Diskussionen. Aus diesem Grunde hoffe ich auf Ihre Nachsicht für meine Ansichten, insbesondere solchen, die sprachwissenschaftlichen Standards widersprechen und solchen, die Ihnen unrealistisch erscheinen. Meine Überlegungen beziehen sich im Übrigen nicht auf einen Zeitraum einiger Jahre, sondern erstrecken sich auf einen nicht definier-baren Zeithorizont, allenfalls eines Jahrhunderts wahrscheinlich auch mehrerer. Die auf Kärnten bezogenen Postulate am Schluss meiner Ausführungen beziehen sich aber auf die Gegenwart und kann ich deren eheste Umsetzung nur erhoffen.
Weiters möchte ich zur Klarstellung vorweg darauf hinweisen, welchen Inhalt ich den folgenden Begriffen meiner heutigen Ausführungen beimesse:
Lingua Franca: Nicht Sprache, die auf einzelnen Fachgebieten Angehörigen verschiedener Sprachgemeinschaften die Kommunikation ermöglicht (Handel, Wissenschaft, Diplomatie, Verwaltung), auch nicht vereinfachte Pidgin- Sprache oder Eurisch oder Denglisch, sondern allumfassende Primärsprache, welche aus mehreren Sprachen auf Grund immer intensiver entwickelnder europäischer Identität und gemeinsamer emotionaler Grundhaltung entsteht, wobei die bisherigen Sprachen zu Lokal-(Familiären-) Sprachen werden, d. h. eine in diesem Sinne europäische Lingua Franca sollte das Ergebnis eines gegenteiligen Verlaufes zur babylonischen Sprachverwirrung sein.
Mehrsprachigkeit: Kenntnis mindestens zweier Sprachen neben der Muttersprache, auf dem Niveau A2/B1 des Europäischen Referenzrahmens , somit einem beschränkten Wortschatz zur Alltagskommunikation und Kenntnis der grammatikalischen Grundstrukturen, ermöglicht die Überwindung der Sprachbarrieren für private und berufliche Begegnungen und Aufenthalte in anderssprachigen Ländern.
Mentalität: nicht im ursprünglichen Wortsinn als Geisteshaltung, sondern allumfassende Denk-, Anschauungs-, Auffassungsweise, als Komplex der emotionalen und kognitiven Verhaltensweisen, allgemeine Bewusstseinshaltung.
Und nun zum Thema: Der Sprachenvielfalt auf der Welt (vermeint werden in der Fachwelt zwischen 5.000 und 7.000 Sprachen) kann ich keine positiven Aspekte abgewinnen. Sie ist meiner Meinung nach Ausdruck der gegenseitigen Abgrenzungen der großen und kleinen Gemeinschaften, sowie das Ergebnis kollektiver Ich- Bezogenheit, aber auch Ausdruck der Sehnsucht nach Sicherheit und Geborgenheit. Die Sprachverschiedenheiten verstärken tatsächliche und vermeinte ethnische Unterschiede, betonen die Volkstumszugehörigkeit und führen zu Nationalismus und im schlechtesten Fall zu kriegerischen Auseinandersetzungen.
Nicht unerwähnt möchte ich die ökonomischen Nachteile durch die Vielzahl der Sprachen lassen, und zwar die Kosten des Sprachenunterrichts, die Ausbildungskosten der Sprachlehrer, die Kosten der Dolmetscher und Übersetzer, und nicht zuletzt auf die Mühen des Fremdsprachenerwerbs hinweisen. Bei der Berechnung der volkswirtschaftlichen Wertschöpfung bilden diese Kosten eine große Passivpost. Bei Wegfall des Zeit- und Kostenaufwandes für den Erwerb fremder Sprachen könnten die gewonnenen Kapazitäten auf anderen Wissens-, Bildungs- und Lebensbereichen eingesetzt werden.
Je größer die Sprachenvielfalt auf einem Kontinent ist, wie zum Beispiel in Europa mit rund 200 Sprachen, davon 24 Amtssprachen der EU, um so geringer ist die Kenntnis der auf anderen Kontinenten gesprochenen Sprachen. Der hohe Wert der persönlichen Kommunikation in der Sprache des Gesprächs- beziehungsweise Verhandlungspartners wird verhindert durch den Gebrauch einer Drittsprache, üblicherweise des Englischen. Je weniger Sprachen in Europa gesprochen würden, um so eher ist der Erwerb der auf anderen Kontinenten, zum Beispiel in Afrika oder Asien, gesprochenen Sprachen möglich mit allen daraus entstehenden positiven Auswirkungen für den zwischenmenschlichen Verkehr geschäftlicher und privater Natur.
Die Vielzahl der Sprachen sehe ich als wesentliches Hemmnis für das Zusammenleben in großen Gemeinschaften und empfinde ich sie gleichsam als Geißel der Menschheit. Wie sollen wir mit der überbordenden Zahl der Sprachen umgehen? Ich vermeine, in erster Linie durch einen hohen Prozentsatz der Mehrsprachigkeit. Die Kenntnis und Anwendung mehrerer Sprachen relativiert die mit der Erstsprache verbundenen Mentalitäten. Sie beseitigen die Zwangsjacke der Erstsprache. Ich zitiere hierzu die Schriftstellerin Iseault Grandjean in ihrem Aufsatz „Andere Sprache- anderer Mensch“ in der Zeitschrift „Jetzt“ vom 20.11.2016, nach welcher durch den Gebrauch von Sekundärsprachen die Zwangsjacke der Erstsprache ausgezogen wird beziehungsweise über sie ein Mantel darüber angezogen wird. Sie vertritt sogar die Ansicht, dass man bei Wechsel der Sprache die Persönlichkeit ändert. Ich zitiere wörtlich: „Wenn wir unsere Sprache wechseln, ändern wir auch unsere Persönlichkeit. Und das kann großartig sein“.
Diese bildhaften Formulierungen verstehe ich im Sinne der in der Sprachwissenschaft vertretenen Meinungen, dass jede Sprache die Denkweise formt, unterschiedliche Lebenseinstellungen und Verhaltensweisen vermittelt, sowie verschiedene Traditionen und Rollenbilder schafft. Ich verwende dafür den Begriff des unterschiedlichen emotionalen Gehalts der Sprachen und möchte damit zum Ausdruck bringen, dass die Sprachen unterschiedliche Nuancen gefühlsmäßiger Empfindungen auslösen, aber auch im Sinne einer Wechselwirkung die emotionale Lebenseinstellung eines Volkes sich in ihrer Sprache widerspiegelt.
Ich bin daher der Ansicht, dass der Sprachenerwerb die Befreiung von den mit der Erstsprache verbundenen emotionalen Grundhaltungen bewirkt, die Hinwendung zu anderen Menschen fördert, sowie neue Identitäten und eine größere geistige Heimat schafft. Das nachhaltige Kommunizieren in mehr als zwei Sprachen führt meiner Meinung nach zur Entnationalisierung der Erstsprache und fördert ganz allgemein Respekt und Toleranz gegenüber fremden Sprachen, Ethnien und Religionen. Es hält auch durch den vergrößerten geistigen Horizont die Vereinnahmung durch verhetzende, nationalistische Politik hintan und wirkt dadurch autoritären und antidemokratischen Bewegungen entgegen.
Im Sinne des Vorhergesagten befreit die Mehrsprachigkeit die Menschen von ihren emotionalen Bindungen an die Muttersprache, gleicht deren Mentalität gegenseitig an und bildet unter der Voraussetzung eines hohen Prozentsatzes von Mehrsprachigkeit in der europäischen Bevölkerung die Basis für eine gemeinsame europäische Erstsprache, eine europäische Lingua Franca im vorangeführten Wortsinn. Ich stelle mir darunter eine die wirtschaftliche und politische Kommunikation und die Wissenschaften länderübergreifend beherrschende Sprache vor, in welche wesentliche Elemente mehrerer Sprachen einfließen, die zunächst neben den traditionellen Sprachen angewendet wird und diese allmählich ersetzt. Welche europäische Sprache, eventuell außereuropäische Sprache, hierbei dominieren wird, hängt wohl von den wissenschaftlichen und kulturellen Leistungen ihrer Sprecher ab.
Die Entwicklung einer gemeinsamen Sprache halte ich für einen natürlichen Vorgang, der nicht als Bedrohung oder Raub der Erstsprachen empfunden wird, sondern dem Bedürfnis länderübergreifender Kommunikation entspringt. Die erste Voraussetzung hierfür bildet die Überlagerung der nationalen Identitäten durch eine europäische Identität. Ohne sich als Europäer zu fühlen kann keine gemeinsame Sprache entstehen, das Gefühl der Zusammengehörigkeit bildet das Wesen einer gemeinsamen Sprache. Zweifelsohne wird es auch eines wortschöpferischen „Europäischen Dante Alighieri“ bedürfen, der das neue gemeinsame Lebensgefühl in einer gemeinsamen europäischen Sprache auszudrücken vermag.
Für Kärnten leite ich zur Schaffung eines mehrsprachigen Landes folgende Postulate ab, deren nähere Ausführung würde den gegeben Zeitrahmen sprengen, und muss ich mich daher auf Schlagworte beschränken:
1) Reframing (Umdeutung, Umetikettierung) der Sprachbarrieren im Lande und gegenüber den Nachbarländern von einer schicksalhaften Last in eine glückhafte Gelegenheit zur Ablegung nationaler Fesseln,
2) Entpolitisierung und Entnationalisierung der deutschen und der slowenischen Sprache, das heißt, die Sprachen dem politischen Einfluss entziehen, sie nicht als Mittel der Politik missbrauchen, den Sprachgebrauch nicht als nationales Bekenntnis werten,
3) Intensivierung des Sprachunterrichts, wie beispielsweise obligatorischer Italienisch- und Slowenisch-Unterricht bereits ab der Volksschule, Englisch ab der 5. Schulstufe, eine 5. Volksschulklasse als Kompensation für den Unterricht der beiden Nachbarsprachen, keine Benotung der Sprachkenntnisse, wobei das in einem Semester nicht erreichte Sprachniveau in Fremdsprachenklassen zu wiederholen ist, etc.
4) Förderung des Sprachengebrauchs und der sprachlichen Weiterentwicklung nach den Schulabschlüssen, insbesondere den beruflichen Erfordernissen entsprechend, wie beispielsweise Sprachentreffs, länderübergreifende Tandems, Nutzung der schulischen Einrichtungen in der unterrichtsfreien Zeit, mehrsprachige Medien, Sicht- und Hörbarmachung der Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum, steuerliche Begünstigungen für Sprachfortbildung, etc.
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